Sehr geehrter Herr Dominique Nobel, Leiter APZ
Liebe Bewohnerinnen und Bewohner des APZ und der Alterswohnungen
Geschätzte Seniorinnen und Senioren
Sehr verehrte Gäste

Schon viele 1.August-Ansprachen, aber heute zum ersten Mal in einem Alters- und Pflegezentrum. Das freut mich, umso mehr, als ich als Regierungsrat auch für die Alters- und Pflegeheime zuständig bin. Zusammen mit den Städten und Gemeinden gibt der Kanton jedes Jahr viele Millionen Franken aus für die Alterspflege.

Und das ist richtig so. Sie alle sind noch in einer ganz andern Zeit aufgewachsen, viele von Ihnen haben den 2.Weltkrieg selbst miterlebt. Zeit des Mangels erlebt, viel weniger Wohlstand wie heute, auch in Kindheit und Jugend mitgeholfen, ihr Leben lang viel gearbeitet, früher gab es zum Beispiel noch keine Waschmaschinen, nur wenige Autos. Es gab kaum Telefone, sicher keine Computer und auch keine Handys. Und trotzdem, bin ich überzeugt, haben Sie in Ihrem Leben auch viele schöne Zeiten erlebt, empfanden Zufriedenheit und Glück, vermutlich nicht weniger als die heutigen jüngeren Generationen in der modernen Wohlstandsgesellschaft. Ihre Generation hat, Sie haben mit Ihrer Arbeit am Arbeitsplatz, zu Hause und auch in der Gemeinschaft viel zur erfolgreichen Entwicklung unseres Landes, unseres Staates beigetragen. Und deshalb ist es richtig, dass dieser Staat jetzt auch mithilft, dass Sie es im Alter guthaben dürfen und keine materiellen Sorgen haben müssen. Und Sie dürfen auch etwas stolz sein auf Ihr Alter. Schon König Salomon sagte: „Graues Haar ist eine prächtige Krone.

Es freut mich, dass Sie so zahlreich versammelt sind zur Bundesfeier. Die ersten Bundesfeiern, die ich erlebte, fanden in meiner Primarschulzeit statt, wo wir Schülerinnen und Schüler regelmässig sangen und ein Theaterstück aufführten. Einmal, es war vermutlich im Jahre 1969, also als Sie noch voller Kraft, sozusagen in Ihren besten Jahren waren, da führten wir den „Wilhelm Tell“ von Friedrich Schiller auf, und ich durfte Wilhelm Tell spielen. Tells Frau Hedwig wurde übrigens von Johanna gespielt, und diese Johanna wohnt heute, welch schöner Zufall, in Amriswil. Ich war sehr stolz, den Wilhelm Tell zu spielen, diesen Freiheitskämpfer, der mit seinem Mut mitgeholfen hat, dass sich die Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden nicht unter das Joch von Vogt Gessler beugen mussten, sondern sich im Bund von 1291 zusammenschlossen. Auf dem Rütli haben die Eidgenossen ihren Eid geschworen, den Friedrich Schiller im „Wilhelm Tell“ so schön formuliert wiedergegeben hat, ich zitiere:
Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr, wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod, als in der Knechtschaft leben. Wir wollen trauen auf den höchsten Gott, und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

Der Rütlischwur geschah vor mehr als 700 Jahren. Heute tönt er immer noch gut, politisch ist er nicht mehr ganz korrekt, weil nur von Brüdern und Vätern gesprochen wird, die Frauen also gar nicht vorkommen. Ich bin aber überzeugt, dass damals schon die Frauen auch gemeint waren, und die Frauen damals schon eine wichtige Rolle spielten. Auch im Wilhelm Tell kommt eine Frau ganz prominent vor, es ist Gertrud, die Frau des Schwyzers Werner Stauffacher. Sie macht ihm Mut, den Kampf gegen den Vogt zusammen mit Walter Fürst aus Uri und Arnold von Melchtal aus Unterwalden aufzunehmen. Und dabei sagt sie zu ihrem Mann, gemäss Schiller, ganz bemerkenswerte Sätze, ich zitiere kurz: „Der kluge Mann baut vor. (…). Die Unschuld hat im Himmel einen Freund. – Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.“ Werner Stauffacher fasst darauf Mut, und später spricht er den tollen Satz: „Verbunden werden auch die Schwachen mächtig.

Was Wilhelm Tell gesagt hat, kann ich bis heute teilweise auswendig, zum Beispiel:
Die Axt im Haus erspart den Zimmermann„, oder „Früh übt sich, wer ein Meister werden will.“ Als Tell das Ruderboot über den tobenden Vierwaldstättersee lenken soll, sagt er: „Wo’s not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen.“ (…) „Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt. Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.“ Und später, als er sich entschliesst, gegen den üblen Vogt Gessler alles zu wagen, sagt Tell: „Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.“ (..) „Mir soll sein böser Wille nicht viel schaden. Ich tue recht und scheue keinen Feind.

Soviel zu Wilhelm Tell und der Geschichte des Rütlischwurs von 1291. Aus diesen Anfängen entwickelte sich dann über die Jahrhunderte die Eidgenossenschaft, nicht planmässig und zielgerichtet, vielfach auch zufällig. Auch wir Thurgauer durften im 15.Jahrhundert endlich die Seiten wechseln, aber die Eidgenossen machten mit uns zuerst das, was sie selbst 200 Jahre früher noch bekämpft hatten: sie setzten uns einen Landvogt vor die Nase, und das über 300 Jahre lang. Aber unter den vielen Landvögten war nie einer wie Gessler, und die farbigen Wappen der Landvögte zieren bis heute die Wände der altehrwürdigen Gerichtsstube im Schloss Frauenfeld. Erst als es 1798 wegen der französischen Revolution und Napoleon fertig war mit der alten Ordnung und langsam die moderne Schweiz entstand, wurde der Thurgau 1803 ein eigenständiger Kanton und gleichberechtigtes Mitglied der Eidgenossenschaft. Seither, und das sind nun auch schon mehr als 200 Jahre, sind auch wir Thurgauerinnen und Thurgauer freie und überzeugte Schweizerinnen und Schweizer und feiern den Bund jedes Jahr gerne mit Ansprachen und Funken und in neuster Zeit auch mit immer mehr Feuerwerk.

Es dauerte übrigens bis 1891, bis der 1.August zum offiziellen Bundesfeiertag wurde, und noch viel länger, nämlich bis 1994, bis der 1.August auch ein richtiger Feiertag wurde. Vorher war er ein gewöhnlicher Werktag, die Schweizer und Schweizerinnen waren halt immer ein arbeitsames Volk, bis heute, und das ist auch gut so.

Um nochmals auf die Geschichte von Wilhelm Tell zurückzukommen, die schon so lange zurückliegt. Ist das bloss noch eine schöne Geschichte? Ich glaube nicht. Der Geist und die Ideen sind bis heute aktuell. Natürlich ist die Welt eine andere geworden, mit dem Flugzeug erreichen wir jeden Punkt der Welt in kurzer Zeit und über die modernen elektronischen Geräte sind die Menschen jederzeit auf der ganzen Welt erreichbar und vernetzt. Doch gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass die Menschen eine Heimat haben, dass sie irgendwo wirklich zuhause sind, dass wir unsere Schweiz haben. Eine Schweiz, wo Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Neutralität wichtig sind und wo immer noch eine einzigartige Bürgerbeteiligung herrscht dank der direkten Demokratie und unsern föderalistischen Strukturen mit dem Bund, den Kantonen, den Städten und Gemeinden. Diesen Werten müssen wir Sorge tragen und ebenso dem guten Umgang im politischen Wettstreit der Parteien und Organisationen. Wenn wir das tun, wenn uns das gelingt, dann bin ich, trotz aller aktuellen Herausforderungen und Probleme, dann bin ich zuversichtlich für die Zukunft unseres schönen Landes.

Ich wünsche Ihnen einen schönen 1. August und alles Gute, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Amriswil, 1.August 2019, Jakob Stark, Regierungspräsident

 

Bundesfeier-Ansprache Amriswil (PDF)