Erste Lockerungen sind seit Montag Tatsache. Lässt da nicht die Disziplin nach?

Jakob Stark: Ich glaube nicht, weil die Eigenverantwortung gross ist. Wichtig ist aber auch, bei jeder Lockerungsetappe darauf hinzuweisen, dass es nur weitergehen kann, wenn man sich an die Regeln hält. Das heisst weiterhin: Hände waschen, aufs Händeschütteln verzichten, Abstand halten.

Es ist auch eine psychologische Frage. Wir leben seit sechs Wochen mit harten Einschränkungen.

Darum ist es von Bedeutung, dass die Lockerungsetappen inhaltlich und terminlich klar sind. Die Menschen brauchen eine glaubwürdige Perspektive. Alle merken jetzt, dass die Massnahmen greifen. Ohne Aussicht auf weitere Lockerungen befürchte ich, dass die Motivation zur Einhaltung der Regeln sinkt.

Im Thurgau gibt es keine 400 Corona-Fälle. Sind die Thurgauer so diszipliniert?

Das disziplinierte Verhalten spielt sicher eine Rolle. Aber wir sind rein geografisch weit weg vom Tessin, von Norditalien, vom Elsass. Auch haben wir keine grossen Städte, im ländlichen Raum hat es weniger Infektionen. Es wurde eine viel grössere Ausbreitung erwartet. Nun sind wir froh, dass es nicht so gekommen ist. Was wir aber auch sagen müssen: Es gibt im Thurgau wohl eher wenig Leute, die immun sind. Somit ist das Potenzial von Neuansteckungen vorhanden. Deshalb ist eine gute Kontrolle, ein Monitoring wichtig. Wir müssen jeden Tag wissen, wie viele Neuinfektionen es gibt. Und wenn die Zahl wieder hochgeht, müssen wir die Lockerungsetappen herauszögern. Wenn möglich aber nie rückgängig machen.

Die Spitäler im Thurgau haben Kapazitäten geschaffen. Doch die Betten wurden nicht gebraucht. Die Spital Thurgau AG sagte, sie mache eine Million Verlust pro Tag. Nun dürfen sie wieder alle Behandlungen durchführen. Kann man so die Ausfälle kompensieren?

Zum Teil schon, aber richtig kompensieren wird nicht möglich sein. Man muss sehen: Der Bund verordnete rigoros, dass alle nichtdringlichen Eingriffe verboten sind, um Kapazitäten für die Covid-Erkrankten sicherzustellen. So waren die Spitäler in der Folge fast leer, ihnen entgingen die Einkünfte. Ob es im Fall der Spital Thurgau AG am Schluss täglich eine Million fehlt, wird sich weisen müssen, weil gleichzeitig nicht die gleichen Kosten wie im Vollbetrieb anfallen. Offen ist, ob die Kurzarbeit entschädigt wird.

Gibt es einen Entscheid?

Mir ist diesbezüglich nichts bekannt. Wichtig scheint mir, dass der Bund für eine einheitliche Behandlung der Spitäler sorgt. Für die Spitäler beginnt heute eine Aufholphase. Klar ist aber: Es wird eine finanzielle Lücke bleiben. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz ist zusammen mit dem Bund, den Spitälern und den Krankenkassen dran, Lösungen zur Finanzierung ungedeckter Kosten zu suchen, wobei die Fragen der Verantwortung und der Rechtsgrundlagen im Vordergrund stehen werden. Allfällige Kosten, die dem Kanton Thurgau dadurch entstehen, könnten budgetmässig durch den vom Regierungsrat beantragten Nachtragsrahmenkredit von 50 Millionen Franken aufgefangen werden.

Die Wirtschaft drängt auf schnellere Lockerungen. Es gibt Kantone, die dem Bundesrat Beine machen wollen.

Der Thurgauer Regierungsrat wünscht auch, dass der Bundesrat mutiger wird. Wir fordern, dass er klare Pläne kommuniziert. Wenn er die ganze Schweiz einheitlich regeln will – was wir begrüssen – soll er für die von Covid-19 weniger betroffenen Kantone im Nordosten die Möglichkeit schaffen, gewisse Etappen pilotartig vorzuziehen.

Die Gastronomie?

Vielleicht die Gartenwirtschaften bereits am 11. Mai mit klaren Regeln wieder eröffnen? Schade ist es, dass am Montag bei uns nicht alle Läden wieder öffnen konnten. Das ist aus meiner Sicht verpasste Zeit.

Also per sofort?

Detailhandel und Volksschulen hätte ich persönlich bei uns im Thurgau am Montag wieder geöffnet. Jetzt freue ich mich auf den 11. Mai.

Auf was freuen Sie sich persönlich im Zuge der Lockerungen?

Das normale Leben kehrt ein Stück weit zurück. Besonders freue ich mich, wenn man wieder miteinander an den Tisch sitzen kann, um ein Bier, einen Saft oder ein Glas Wein zu trinken.

Oder für einen Jass?

Genau. Darauf freue ich mich sehr. Auch wenn meine Frau und ich einen spannenden Jass zu zweit gefunden haben.

Das Interview erschien am 28. April 2020 in der Thurgauer Zeitung.